Frauen können alles

Frauen können alles

Sagt unsere deutsche Familienministerin Franziska Giffey. Das beweisen wir seit einigen Monaten wieder einmal. Von Privathaushalten ganz. Wir Frauen wuppen das, wir halten den Laden am Laufen. Weil wir es können.

Angst: wie wir damit umgehen Du liest Frauen können alles 5 Minuten Weiter Krisen meistern

Frauen können alles. Sagt unsere deutsche Familienministerin Franziska Giffey. Das beweisen wir seit einigen Monaten wieder einmal, sei es in Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten, Pflegeeinrichtungen und im Einzelhandel, wo rund 80% der Arbeitskräfte Frauen sind. Von Privathaushalten ganz zu schweigen, wo eher 90% Hausarbeit, Kinderbetreuung und alles, was ebenso anfällt, von Frauen erledigt wird. Wir Frauen wuppen das, wir halten den Laden am Laufen. Weil wir es können.

Aber wollen wir das auch?!

Klar, wir wissen, dass wir stark, widerstandsfähig, vielseitig begabt und somit universell einsetzbar sind – aber ist das gut so? Ist das wünschenswert? Ich habe irgendwann einmal beschlossen, bestimmte Dinge einfach nicht mehr zu können. Von heute auf morgen – zack! Weg war die Begabung. Ich konnte mal gut klempnern, schrauben, hämmern; ich konnte gute Beschwerdeschreiben wegen falscher Stromrechnungen aufsetzen, konnte mir die Termine aller Familienmitglieder merken, konnte Streit schlichten und die Wohnung renovieren.

Aber irgendwann hab‘ ich beschlossen, Vieles davon einfach nicht mehr zu können. Zum Beispiel Möbel verschieben und schwere Einkäufe tragen, Herrenhemden bügeln, Knöpfe annähen und Hausaufgaben korrigieren: Schwupp – verlernt! Von einem Tag auf den anderen. Auch meine grandiosen Multitasking-Fähigkeiten – mit eingeklemmtem Handy am Ohr mit der Kollegin was Berufliches organisieren, mit der Rechten im Kochtopf rühren, links die nörgelnde Vierjährige tragen und mit dem Fuß das schreiende Baby in der Wiege schwindelig schaukeln – von heute auf morgen war diese zweifelhafte Begabung verschwunden. Plötzlich unbegabt – was war das für eine Befreiung! 

Ganz ehrlich: Ich hatte schon einige Jahre zuvor meine Lektion gelernt. Eine ziemlich schmerzliche Lektion. Damals war ich allerdings, im Gegensatz zu den DINKs (double income, no kids) eine alleinerziehende freiberufliche Künstlerin mit zwei Kindern, kurz: double kids, no income. Da musste es mir mein Körper schon in aller Deutlichkeit sagen, mit Bandscheibenvorfall, Tinitus und Reizdarmsyndrom, dass jetzt mal Schluss ist mit Alleskönnen und Perfektionsanspruch. Seither war ich schon viel besser geworden im Nachspüren, wie weit ich gehen kann mit meiner Überlastung und wann es Zeit ist, „Nein!“ zu sagen. Aber gerade wir Frauen, insbesondere die Mütter unter uns, sind Meisterinnen in Selbstausbeutung. Kaum waren einige Jahre ins Land gegangen, fand ich mich schon wieder in der Rolle der Universalkönnerin wieder. Diesmal war es zwar kein Bandscheibenvorfall – schließlich hatte ich ja eine einigermaßen regelmäßige Yogapraxis entwickelt – sondern es war der Blick in den Kalender, der mir verriet, dass ich statt der regelmäßigen Übung meiner Asanas noch viel regelmäßiger die Yogastunden sausen ließ zugunsten von „dringenden Erledigungen“.

Was für eine Erkenntnis, als ich endlich lernte zu unterscheiden zwischen „dringend“ und „wichtig“! 

Wie befreiend, einfach selbst zu entscheiden, was gerade wirklich wichtig ist – eine Pause, ein Gespräch mit der Freundin, ein Spaziergang in der Natur, eine Meditation – und nicht immer zuerst fast zwanghaft alles erledigen zu müssen, was dringend erscheint. Klar, die Wäsche will aufgehängt, die Mahnung bezahlt und die Hausaufgaben betreut werden. Aber selten ist etwas so dringend, dass für das Wichtige nicht mal eine halbe Stunde Zeit wäre. Im Gegenteil: Seit ich beschlossen habe, nicht mehr alles zu können, habe ich plötzlich richtig viel Zeit zur Verfügung! Zugegeben, der Grad der Ordnung und Sauberkeit entspricht nicht mehr ganz meinen Vorstellungen. Aber Vorstellungen lassen sich ändern. Das ist weniger anstrengend als alles selbst zu erledigen.

Erstaunlicherweise änderte sich plötzlich auch das Verhalten meiner Familie. Die Kinder entdeckten ihren Spaß daran, das Abendessen für uns zuzubereiten, mein Mann entwickelte eine gewisse Genugtuung bei der Erledigung nerviger Notwendigkeiten. Sicherlich war ich insgesamt gelassener, und das spiegelte sich das in meinen Kindern und meinem Mann wieder.

Ich musste noch eine Weile über meine Bedürfnisse einerseits und meine Grenzen andererseits nachdenken. Meine regelmäßige Yogapraxis und tägliche Meditationen halfen mir dabei. Und ich musste lernen, darüber zu sprechen, ja, das muss kommuniziert werden!). Das fällt uns Frauen oft gar nicht leicht. Schließlich steckt ein Jahrhunderte alter Anspruch an Perfektion in uns, der durch ein paar Jahrzehnte Emanzipation, Bildung und bestenfalls guter Erziehung nicht unmittelbar dazu führt, dass wir uns wie Gleiche unter Gleichen fühlen und entsprechend handeln. Und Himmel noch mal, ganz ehrlich: Was gibt es Schöneres als perfekt zu sein?! 

Es gibt was Schöneres: In Unordnung und Chaos die Augen schließen, tief durchatmen und lächeln. Bei sich sein. Mit sich selbst eins sein. Die Welt dreht sich weiter. Wir können uns selbst zumuten, das Können zu lassen, und unseren Mitmenschen zutrauen, das Können zu lernen. Das hat mit Mut zu tun und mit Vertrauen – für beides sind wir Frauen Spezialistinnen. Wir können eben alles – sogar loslassen. Nichts hilft mir dabei so sehr wie meine Yogapraxis.

Inhale. Exhale. Smile. 

Text:Nirit Sommerfeld