dariadaria im Interview: "Wir haben nur noch 12 Jahre Zeit"

dariadaria im Interview: "Wir haben nur noch 12 Jahre Zeit"

Slow statt Fast – Fair statt Profit: Im Interview erklärt Umweltaktivistin und Fair Fashion Bloggerin Maddie alias dariadaria uns, warum und wie wir alle etwas zu einem Wandel in der Modeindustrie beitragen können.
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Jedes Jahr werden 100 Milliarden Kleidungsstücke hergestellt. Umweltauswirkungen entstehen über den gesamten Lebensweg eines Textils: von der Rohstoffgewinnung und der Herstellung von Fasern über die Textilproduktion, den Gebrauch bis hin zur Entsorgung. In kaum einer anderen Branche wird so viel Wasser benötigt wie in der Bekleidungsindustrie. So werden um ein Kilo Stoff zu produzieren bis zu 100 Liter verbraucht. Das meiste Wasser, das die Menschen verbrauchen, bekommen sie jedoch gar nicht zu Gesicht. Die Wassermengen, die in einem Produkt oder einer Dienstleistung enthalten sind und zur Herstellung verwendet werden, nennt man deshalb „virtuelles Wasser“. Besonders viel von diesem „unsichtbaren“ Wasser wird bei der Produktion von Kleidung verbraucht. 

Zur Minimierung der Umweltauswirkungen hat sich in der Modebranche „Fair Fashion“ als eine Gegenbewegung zu der sogenannten „Fast Fashion“ entwickelt. Hierbei geht es nicht nur um Materialien, sondern um eine ganze Reihe von Aspekten, die mit Nachhaltigkeit in Zusammenhang stehen, wie z.B. der Verzicht auf Kinderarbeit, existenzsichernder Lohn, keine exzessiven Arbeitszeiten oder Tierschutz. Denn schöne Mode sollte nicht unter hässlichen Bedingungen entstehen.

Eine der Vorreiterinnen in Sachen nachhaltiger Mode ist die Wiener Aktivistin Madeleine Alizadeh (29) alias DariaDaria. Sie hat konventionelle Mode gegen grüne, faire Fashion eingetauscht und ist die bekannteste Fair-Fashion-Influencerin. Sie zeigt, welche tollen Looks man mit nachhaltigen Labels tragen kann und ist das beste Beispiel dafür, dass nachhaltige Mode und Modebewusstsein sich nicht ausschließen. Im Interview erklärt sie uns, warum und wie wir alle etwas zu einem Wandel in der Modeindustrie beitragen können.

 

 

Was macht Ihnen mit Blick auf die Zukunft unseres Planeten besonders große Sorgen?

Mir bereitet der IPCC-Report (Intergovernmental Panel on Climate Change, Weltklimarat), der im Herbst 2018 erschienen ist, sehr große Sorgen. Dieser besagt, dass wir nur noch 12 Jahre Zeit haben, um der Erderwärmung entgegenzuwirken.

 

Warum müssen wir mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Mode schaffen?

Die Textilindustrie ist die zweitschmutzigste Industrie, nach Öl. Das Volumen an Textilien, das jährlich auf den Markt kommt und in Umlauf gebracht wird, ist nicht mehr tragbar. Neben den ökologischen Faktoren spielen die Ausbeutung von Mensch und Tier eine große Rolle. Das Kaufen von fairer Mode ist für mich auf jeden Fall auch eine feministische Angelegenheit. Wenn man für sich selbst Rechte beansprucht, die anderen Frauen nicht zuteil werden, muss man sich doch die Frage stellen, was für einen Feminismus man lebt, in dem man Kleidung von Frauen kauft, die keine Stimme und keinerlei Rechte wie beispielsweise Mutterschutz, soziale Absicherung, faire Löhne oder humane Arbeitszeiten haben.

 

Wie könnte man in der Gesellschaft dieses Bewusstsein für nachhaltige Mode schaffen?

Das ist eine sehr große Frage, um sie so kurz zu beantworten. Ein möglicher Ansatz ist, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass die Modeindustrie Auswirkungen auf die Umwelt hat und sich langfristig etwas ändern muss. Das große Problem ist, dass wir gar nicht mehr wissen, was z.B. 1 Meter Stoff kostet, wir sehen einfach kein Verhältnis mehr. Indem junge Menschen schon in der Schule aufgeklärt und Produktionszyklen erläutert werden, sowie der Wert eines gefertigten Produkts verdeutlicht wird, können wir ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen.

 

Was stellt Ihrer Meinung nach dafür eine Herausforderung dar?

Die Herausforderung ist es, die Menschen für einen bewussten und achtsamen Konsum zu sensibilisieren. Das heißt, dass sie auf Qualität achten, sich überlegen, wie oft sie ihr Kleidungsstück tragen werden, und sich beim Kleiderkauf auch Gedanken darüber machen, wo und unter welchen Umständen diese produziert wurden.

 

Hat sich Ihrer Meinung nach die Modeindustrie in den letzten Jahren verändert?

Ich glaube, dass die Modeindustrie sich definitiv durch den positiven Trend zur Nachhaltigkeit verändert hat. Trend muss man ja nicht negativ sehen. Er kann in die richtige Richtung gehen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass immer mehr Unternehmen in den Zugzwang kommen. Die Hersteller müssen mehr Transparenz entlang ihrer Lieferkette schaffen und gleichzeitig, um finanziell erfolgreich zu bleiben, ihren negativen Einfluss auf die Umwelt verringern und dem Klimawandel entgegenwirken.

 

Kann man von einer Transparenz in der Textilindustrie sprechen, oder sind die Unternehmen noch nicht so weit?

An diesem Punkt sind wir absolut noch nicht angekommen. Ich bin der Meinung, dass man nicht von Transparenz in der Modeindustrie sprechen kann. Einerseits, weil die Konsumenten nicht darüber Bescheid wissen, wie komplex eine Wertschöpfungskette ist. Anderseits aber auch, weil die Unternehmen diese für die Verbraucher nicht ehrlich offenlegen.

 

Wie sähe für Sie ein mögliches System aus, um die Textilbranche wirklich zu revolutionieren?

Eine gute Strategie für unser allgemein kapitalistisches System ist das Konzept der Gemeinwohlökonomie. Momentan haben Unternehmen steuerliche Vorteile dadurch, dass sie billig und ausbeutend produzieren. Auf Basis der Gemeinwohlökonomie könnte man jedoch einführen, dass die steuerliche Belastung nur verringert wird, wenn ein Unternehmen gut und ethisch produziert. Der Betrieb müsste dann in einer Art Bilanz aufführen, was er zum Wohl für Umwelt, Mensch und Tier unternommen hat. Dann würde man für die Maßnahmen Punkte vergeben und das Unternehmen anhand einer Matrix bewerten und entscheiden, wie groß die Steuererleichterung ist. Dies ist meiner Meinung nach ein sinnvolles Beispiel dafür, wie man für Unternehmen Anreize schaffen kann, nachhaltig zu produzieren.

 

Sie setzen sich mit viel Herzblut für verschiedene Themen ein, Integration, Tier- und Naturschutz, gibt es Themen, bei denen auch Sie sich in Toleranz üben müssen?

Ich muss mich natürlich in allen Themen mit Toleranz üben, auch mit mir selbst. Manchmal muss ich mir eingestehen, dass ich nicht ständig das Ideal leben kann, das mir vorschwebt. Wenn jeder Mensch sich jedoch im Umgang mit Konsum ein bisschen am eigenen Kragen packen würde, dann wäre schon ein großer Schritt geschafft. Zum Beispiel könnten wir anfangen, nur noch halb so viel zu kaufen oder nur halb so viel Fleisch zu essen. Damit bringen wir schon viel in Bewegung. Man muss Toleranz der Intoleranz gegenüber üben. Man kann nicht immer alles perfekt machen und auch andere Menschen sind nicht perfekt.

 

Hat die Auseinandersetzung mit Yoga Sie verändert?

Yoga ist auf jeden Fall eine wichtige Lehre in meinem Leben. Allein das Prinzip von Ahimsa (Sanskrit für das Nicht-Verletzen), Gewaltlosigkeit, meine komplette Ernährungsumstellung auf vegan und die Achtsamkeit mir und meiner Umwelt gegenüber, die meine Yogapraxis mit sich gebracht hat, haben mich innerlich reicher gemacht. Durch die Yogapraxis habe ich viel über den Umgang mit mir selbst und meinen Mitmenschen gelernt. Yoga gibt mir Raum für Fehler, für Selbstliebe, für Humor und Gelassenheit. Dies hilft mir in vielen Lebenssituationen.

 

Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Mode?

Ich wünsche mir, dass die Lieferketten in der Mode transparent, ethisch und ökologisch gerecht gestaltet werden.

 


Über Madeleine

Die Österreicherin Madeleine Sophie Daria Alizadeh startete 2010 ihren Lifestyle-Blog „dariadaria“ und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer der meist gelesenen Bloggerinnen im deutschsprachigen Raum. Seit 2013 widmet sie sich nachhaltiger und fairer Mode, spricht über Achtsamkeit, bewussteres Leben und unterrichtet Yoga. Die Wienerin hat über die Jahre einen Wandel weg vom Lifestyle hin zu gesellschaftskritischen Themen durchlaufen.

In ihrem Podcast „a mindful mess“ spricht sie über Nachhaltigkeit und Feminismus. Madeleine schreibt eine Kolumne für „die Wienerin“ und tritt europaweit als Speakerin bei Innovations-Konferenzen wie den TED-Talks auf. Im Frühjahr 2018 war sie auch Gast im Europäischen Parlament, um an der Plenardebatte zum Verbot von Einwegplastik zum Schutz der Ozeane teilzunehmen. Um auf die humanitäre Lage von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, reiste Alizadeh nach Jordanien und in den Irak.

Auf ihrer Ghana Reise machte sie sich stark für den nachhaltigen Anbau von Palmöl, für den keine Regenwälder sterben müssen. In Indien besuchte sie Frauen, die in Madhya Pradesh Bio-Baumwolle pflücken und überzeugte sich persönlich davon, wie aus der biologisch angebauten Baumwollpflanze ein Kleidungsstück wird. In Patagonien machte sie sich vor Ort ein Bild darüber, was nachhaltige und faire Wolle überhaupt bedeutet. Ihr ist kein Weg zu weit. Madeleine Alizadeh übernimmt Verantwortung und nutzt ihre Popularität, um zu informieren, zu inspirieren und vor allem um etwas zu bewegen.