Wie bist du zum Yoga gekommen?
Auf eine sehr unkonventionelle und spannende Art und Weise: im Amazonas während einer schamanischen Zeremonie. Ich war damals dort, weil ich sehr krank war, und ich war verrückt oder verzweifelt genug, zu glauben, das mir das helfen könnte. Und es half. Und brachte mich aus irgendeinem Grund auf die Idee, mit Yoga anzufangen. Ich hatte dann meine erste Yogastunde in Rio de Janeiro. Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen. Yoga hat mir in großem Maße geholfen, gesund zu werden, und mein Leben in den letzten 15 Jahren entscheidend geprägt und unglaublich bereichert.Hat eine ganzheitliche Lebensweise in deinem Leben schon immer eine Rolle gespielt?
Nein, im Gegenteil: zu meinen Studienzeiten bin ich sehr unachtsam mit mir umgegangen. Ich hatte keine Ahnung wer ich war und was ich mit meinem Leben anstellen sollte. Ich habe mich schlecht ernährt, kaum bewegt, Alkohol getrunken, geraucht. Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, weiß ich, dass ich mich fast gar nicht gespürt habe. Es ist kein Wunder, dass mein Körper irgendwann gestreikt hat. Ich bin heute sehr dankbar für diesen Wake-Up-Call. Er hat mich auf meinen Weg gebracht und mir durch Yoga unglaublich schöne Momente und tiefe Einsichten geschenkt.
Du hast dich besonders auf Yin Yoga und Yoga Nidra spezialisiert. Was fasziniert dich daran?
Ich mag die Ruhe und Tiefe. Wenn man ein anspruchsvolles Leben führt, vielleicht Kinder hat und einen Beruf mit viel Verantwortung, liefern diese Techniken für mich den optimalen Ausgleich. Sie fahren einen effektiv runter und setzen das gesamte System auf null. Vergleichbar mit einem Reset beim Computer. Der Stress verschwindet, man schläft tief und erholsam. Darüber hinaus kann man lernen sich zu fühlen. Auch jene Gefühle, die im Alltag keinen Platz haben, wie z.B. Wut, Angst, Trauer. Wenn wir sie verdrängen und nicht spüren wollen, sind sie ja nicht weg. Im Gegenteil: sie haben eher die Tendenz stärker zu werden und in manchen Momenten die Kontrolle zu übernehmen. Dann sagen wir vielleicht etwas, was uns hinterher leid tut. Wenn wir aber lernen, diese Gefühle kurz da sein zu lassen und sie wirklich zu spüren, verlieren sie ihre Macht. Das ist eine Reinigung auf einer ganzheitlichen Ebene, nicht nur körperlich. Danach können wir viel tiefer entspannen und wirklich regenerieren.
Yoga ist kein klassischer Sport, sondern wirkt auf vielen Ebenen. Inwiefern beeinflusst Yoga dein Leben tagtäglich positiv?
Der körperliche Aspekt von Yoga hat in den letzten Jahren extrem an Bedeutung gewonnen, und Yoga hat in dem Bereich auch viel zu geben: Gesundheit, Kraft und Beweglichkeit. Doch man muss auch vorsichtig sein: wer zu intensiv Vinyasa übt, bringt zu viel Hitze ins System und brennt auf Dauer aus. Mal abgesehen davon, dass dann die anderen Aspekte von Yoga kaum zum Tragen kommen. Yoga hat so vieles zu bieten. Im Yoga Nidra benutzen wir Techniken um in Bereiche des Unterbewusstseins zu gelangen und dort Verhaltensweisen und Prägungen „umzuprogrammieren“, die uns nicht dienlich sind. Im Yin Yoga können wir mit unseren tiefsten Wünschen und Sehnsüchten in Kontakt kommen, unsere Träume und Visionen wiederfinden. Doch was auch immer wir praktizieren, ob wir uns mit unserem Körper beschäftigen oder in andere Dimensionen abtauchen, wir sollten es mit Liebe tun. Liebe sollte die Hauptzutat sein jeglicher spiritueller Praxis. Die Yogapraxis kann alle möglichen Ergebnisse erzielen. Zum Erwachen führt sie nur mit Liebe.
Wie sieht deine tägliche Yogapraxis aus?
Ich wünschte ich hätte eine! Ich habe eine 2-jährige Tochter, bin alleinerziehend und selbständig. Die Zeit, in der ich täglich Yoga üben konnte, liegt über 2 Jahre zurück. Eine tägliche Praxis würde mir heute ungemein helfen mit den Belastungen wie Schlafmangel etc. umzugehen, und vor allem mehr Balance in eine herausfordernde und instabile Lebensphase bringen. Leider habe ich dazu oft nicht die Zeit. Dennoch kann ich sagen, dass mich genau diese zwei Jahre viel gelehrt haben in Bezug auf Yoga, denn ich war gezwungen, das was ich gelernt habe, nicht nur in der ruhigen Oase meines Zimmers, sondern mitten auf dem brodelnden Marktplatz (bzw. Spielplatz :) zu praktizieren. Und auch ohne irgendeine Praxis die Gedanken zu beruhigen, still zu werden und Verbundenheit zu spüren.
Du hast dich entschieden, Yoga nicht nur für dich selbst zu machen, sondern auch als Yogalehrer tätig zu werden. Was hat dich dazu bewegt?
Ich liebte es einfach zu sehr. Es nahm zu viel Platz in meinem Leben ein, als dass ich es nur als Hobby hätte betreiben können. Obwohl ich kein Typ bin, der sich gern vor andere Menschen setzt und redet. Jahrelang war mein erster Impuls, wieder aufzustehen und davonzulaufen. Das habe ich inzwischen im Griff, weil ich weiß, dass ich etwas zu geben habe. Und das ist das Wichtigste. Als Yogalehrer stellst du dich in den Dienst der Menschen, die zu dir zu kommen. Wer nur sein Ego aufpolieren will und Applaus braucht, ist fehl am Platz. Wer viel Geld verdienen möchte ebenso. Diesen Job muss man wirklich lieben, sonst funktioniert‘s nicht.
Wenn du jemanden kennenlernst, der von Yoga keine Ahnung hat, und dem du die Praxis gern näher bringen würdest - womit würdest du ihn davon überzeugen?
Ich würde ihn in meinen Unterricht einladen. :)
Liebe Ranja, vielen Dank für das Interview!